Ein Beitrag aus Open Password: Ein humanistischer Blick auf die Informationsgesellschaft
Norbert Henrichs, bis zu seiner Pensionierung Professor für Informationswissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Vor einem guten Jahr hatten ihm seine Kollegen noch den ersten Band der Schriftenreihe „Pioniere der Informationswissenschaft“ gewidmet. Dies war Anlass für Password, seinen liebenswürdigen und liebenswerten Gesprächspartner unter der Überschrift „Eine humanistische Alternative zur gegenwärtigen Informationswissenschaft“ auf den Titel zu heben und mit der aktuellen Frage „Hat die Abwicklung der informationswissenschaftlichen Lehrstühle mit ihrer mangelnden Relevanz zu tun?“ (Mai 2015). Diese Frage wäre im Fall der Düsseldorfer Informationswissenschaft mit „Nein“ zu beantworten gewesen. Gleichwohl wurde wenige Monate später der Beschluss zur Abwicklung der Düsseldorfer Informationswissenschaft gefasst.
Im Nachhinein lesen sich die seinerzeitigen Beiträge in Password wie Nachrufe auf Henrichs. Stephan Holländer schrieb unter anderem: „Mit dem Buch „Menschsein im Informationszeitalter“ legt Norbert Henrichs einen Querschnitt aus seinen unselbstständig erschienenen Beiträgen vor, die im Laufe seiner langen und erfolgreichen Karriere an der Universität Düsseldorf entstanden sind. … In einer Zeit, in der die Strategien der Anbieter und die Entwicklung der Informationstechnologie als Treiber der informationswissenschaftlichen Forschung dargestellt werden, hebt sich der von den Zwängen der rein ökonomischen Betrachtungsweise befreite Informationsbegriff von Norbert Henrichs wohltuend ab. Vielmehr stellt Henrichs mit seiner philosophischen und theologischen Herkunft den Menschen und seine Informationsbedürfnisse in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. …
(Zwar) lehnt Henrichs den Begriff „Information als Ware“ nicht rundweg ab. Aber er weigert sich, „dem Warenaspekt von Information den ersten Platz einzuräumen, was letztlich bedeutete, Lebensqualität, die aus verbesserter Kommunikation folgen sollte, primär an ökonomischen Wertskalen zu messen. … Er erhebt den mahnenden Finger gegen eine totale Kommerzialisierung des Informationswesens und verweist auf neue politische Verantwortlichkeiten angesichts der Internationalisierung der Netze. … Er weist darauf hin, dass „eine informatisierte Gesellschaft“ nicht unbedingt eine „informierte Gesellschaft“ nach sich zieht. … Er entwirft einen anthropologischen Ansatz, nach dem der handelnde Mensch und seine Informationsbedürfnisse und Informationsnachfrage einen Stellenwert in den technischen Veränderungsprozessen erhalten müssen. …
Die von Henrichs bereits damals diagnostizierte Computergläubigkeit des Menschen führt zu verschlungenen und unkontrollierten Datenwegen, die den Datenschutz illusorisch machen. … Vor dem Hintergrund des heute viel gepriesenen Cloud-Konzepts klingt seine Warnung beinahe prophetisch: „Doch wer vom Staat oder auch vom Markt immer bessere Daseinsvorsorge erwartet, darf sich der Organisation einer entsprechenden Datenlage als Voraussetzung dieser Datenvorsorge nicht widersetzen, was dann auch oder gerade die Diskussion um den Datenschutz auf eine neue Betrachtungsweise hebt.“
(Henrichs) plädiert für eine selbst bestimmte Nutzung der IKT durch die Menschen. Henrichs hat Recht, wenn er davor warnt, als Ziel der IKT nur den schnellen Gelderwerb zu sehen. Es muss beim Wandel von der Informationsverwaltung zum Wissensmanagement um die Bewahrung humanistischer Werte gehen. Sind sich seine jüngeren Kollegen, die im HI, das Sagen haben, dessen wirklich bewusst? … Aufgabe des Informationsmanagements muss es sein, neutral, objektiv und synoptisch alle bekannten Informationen thematisch zusammenzubringen, um sie vergleichen zu können, allfällige Widersprüche erkennbar zu machen und das Verständnis für verschiedene Positionen zur gleichen Thematik zu erleichtern. …
Persönliches Informations- und Wissensmanagement erkennt Henrichs als Schlüsselqualifikationen der Zukunft. Henrichs regt an, ein interkulturelles Informations- und Kommunikationsmanagement zu schaffen. Als weiteres notwendiges Angebot von Hochschulen sieht er eine informationswissenschaftliche Grundausbildung für Studierende aus Entwicklungsländern. …
Die klare Gedankenführung und die vorausblickenden Analyse von Norbert Heinrichs lassen einen erstaunt nachschauen, wann die Beiträge das erste Mal publiziert wurden.“
In einem weiteren Beitrag erinnerte Willi Bredemeier an die weitgehende Praxisorientierung von Henrichs und daran, dass er den Machern der IuD-Programme Geschichts- und Kontextvergessenheit vorwarf: „Hätte man längst ausgetauschte Argumente „gekannt und beherzigt, wären vermutlich zu beklagende Fehlentwicklungen vermieden worden.“ Auch das Scheitern der GID (deren Direktor er war, Red.) wären vorauszusehen gewesen, hätte man den Untergang des Internationalen Instituts für Technikbibliographie in den Jahren nach 1908 nicht vergessen gehabt.“
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