Herr Winfried Gödert schreibt im Open Password folgendes:
„Zur Notwendigkeit und zur Frage des angemessenen Formates.
Lieber Herr Bredemeier,
wie versprochen, hier einige schriftliche Gedanken zur Frage, mit welchem Format man ggf. etwas Nützliches für eine Belebung der Informationswissenschaft tun kann. Ich hoffe, die nicht an den Erfordernissen von Blogs und Tweets orientierte Länge der Ausführungen hat keine zu abschreckende Wirkung.
Am Anfang der Überlegungen müsste wohl die Frage stehen, ob es innerhalb oder mit der Informationswissenschaft überhaupt ein Problem gibt. Wenn ich die „Antwort“ von Herrn Wolff auf meinen Text (https://www.informationswissenschaft.org/allgemein/antwort-des-hi-vorsitzenden-christian-wolff-auf-den-brief-des-kollegen-winfried-go%CC%88dert/) richtig deute, will er ja wohl vorrangig zum Ausdruck bringen, dass es überhaupt kein Problem gibt. Die von mir und anderen vorgebrachten Beobachtungen und Argumente bestehen demnach nur aus rückwärts gewandten Beschreibungen ohne Potenzial für eine Zukunftsgestaltung. Im Großen und Ganzen sei die Informationswissenschaft schon auf einem guten Weg, der nur in Details weiter ausgestaltet und um mehr Öffentlichkeitsarbeit ergänzt werden muss. Die ausbleibenden Reaktionen auf die bisherigen Beiträge bleiben zunächst unerklärt, können aber ebenfalls mit dieser Interpretation erfasst werden.
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Sind wir fähig, uns als Teil des Problems zu sehen?
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Meine Sicht auf den Zustand der Informationswissenschaft ist eine andere. Überspitzt würde ich sagen, eine zentrale Frage berührt die Fähigkeit, sich selbst als ein Teil des Problems zu sehen, und nicht schon als seine Lösung. Dazu muss die Existenz eines Problems akzeptiert und dann seine präzise Bestimmung vorgenommen werden, bevor eine Diskussion über mögliche Lösungen beginnen kann.
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Die Informationswissenschaft benötigt den Partner eines Anwendungsfeldes. Eine Praxis ohne methodische Unterfütterung kann ich mir nicht vorstellen.
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Eine zweite wichtige Vorfrage betrifft das Verhältnis von Informationswissenschaft und Informationspraxis mit der Frage nach der Bereitschaft, dieses Verhältnis in einem offenen Diskurs zu thematisieren. Nach meiner Auffassung kann eine Informationswissenschaft niemals eine autarke Erkenntniswissenschaft sein, die die Gegenstände ihrer Aufmerksamkeit aus sich selbst generiert. Sie benötigt immer den Partner eines Anwendungsfeldes zur Bestimmung ihrer Untersuchungsgegenstände und zur Anwendung ihrer Ergebnisse. Eine Informationspraxis ohne methodische Unterfütterung kann ich mir ebenfalls nicht vorstellen. Ob diese Unterfütterung durch eine eigene Wissenschaftsdisziplin geschehen muss, darf selbstverständlich in Frage gestellt werden. Lautet die Antwort aber Ja, müssen zwischen den beiden Partnern die jeweiligen Handlungsrollen ausgehandelt werden, um wechselseitig voneinander profitieren zu können. Ein solches Verhältnis lässt sich nicht als Master-Slave-Prinzip gestalten.
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Was für ein Format ist denn angemessen?
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Im Folgenden setze ich also voraus, dass es gute Gründe gibt, etwas Nützliches für die Belebung der Informationswissenschaft zu tun.
Format „Veranstaltung“.. Das auszuwählende Format sollte eine ausgewogene Mischung zwischen Dialogunterstützung und Differenziertheit der Argumentation ermöglichen und sich nicht allein in plakativen Statements erschöpfen. Da es sich in erster Linie um eine binnenzentrierte Diskussion handelt, sollte der Adressatenkreis nicht außerhalb der Bereiche Informationswissenschaft und -praxis liegen. Veranstaltungen, insbesondere Podiumsdiskussionen, besitzen einen hohen Verdichtungsgrad, sind ohne Dokumentation und Nachbereitung aber sehr vergänglich, bedürfen einer gründlichen Vorbereitung (Moderator, Auswahl der Referenten, Engführung der Themen bei Freiheit der Argumentation) und bergen die Gefahr, das plakative Element zu stark zu betonen. Derzeit scheint sich hierfür auch keine geeignete Rahmenveranstaltung innerhalb des professionellen Umfeldes anzubieten. Eine allgemeine Veranstaltung, wie etwa die Buchmesse, hätte womöglich ein großes Publikum, kann aber nicht die Ausstrahlung in die Profession garantieren. Die sicher notwendigen kritischen Diskussionselemente würden nach außen ungewünschte ungute Eindrücke erzeugen.
Format „Technische Einzelpublikation“. Für eine thematische Einzelpublikation wäre ein Format wünschenswert, das ohne zu starke Beschränkung für die einzelnen Beiträge ein möglichst starkes dialogisches Element in einer aufeinander bezogenen Berücksichtigung der Vielfalt von Positionen aufweist. Realisierbar wäre so etwas über die Vorgabe eines oder zweier Initialbeiträge, die den weiteren Autoren bekannt gegeben werden, damit sie Stellungnahmen dazu abgeben können. Der oder die Autor(en) des / der Initialartikel(s) sollten anschließend noch einmal Stellung nehmen können. Der oder die Herausgeber sollten ein abschließendes Fazit formulieren.
Als Vorbild dieser Vorgehensweise kann zum einen das Buch „Snow, C.P.: Die zwei Kulturen: Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz – C.P. Snows These in der Diskussion. Stuttgart: Klett-Cotta 1987“ angesehen werden. Zum anderen wird dieses Konzept beispielsweise in der Zeitschrift „Erwägen Wissen Ethik“ (bis 2001 u.d.T.: Ethik und Sozialwissenschaften – Streitforum für Erwägungskultur; https://de.wikipedia.org/wiki/Erw%C3%A4gen_Wissen_Ethik) realisiert (vgl.: http://iug.uni-paderborn.de/ewe).
Für die Realisierung nach diesem Konzept bräuchte es Herausgeber und Autoren nach einer vorab festzulegenden Auswahl. Hierfür stelle ich mir eine Mischung aus bereits etablierten Informationswissenschaftlern und -praktikern, ergänzt um Vertreter des Nachwuchses und Vertreter anderer Wissenschaftsdisziplinen, vor. Letztere sollten insbesondere deutlich machen, wo aus ihrer disziplinären Sicht die Abgrenzungen, aber auch die Chancen für eine Zusammenarbeit mit Vertretern einer Informationswissenschaft liegen, damit eine allein innovationseuphorisch gesteuerte Binnensicht vermieden wird.
Zur Bewertung: Die Realisierung eines solchen Vorschlages erfordert erhebliche Anstrengungen von allen Beteiligten. Für viele wird er nicht in die Zeit passen, ein Erfolg ist ungewiss. Mangelnde Seriosität wird man ihm allerdings nicht nachsagen können. Man muss ihn unter den Vorbehalt stellen, ob es sich angesichts der Erfolglosigkeit bisheriger Bemühungen lohnt, die entsprechenden Anstrengungen zur Realisierung zu unternehmen.
Kommerziell orientierte Zeitschriften oder Bücher scheiden wohl eher aus. Ob gesponserte Formen möglich sind, entzieht sich meiner Beurteilung. Ein e-Dokument mit breiter Bekanntmachung scheint aber realisierbar zu sein, sofern es gelingt, die Frage der Herausgeberschaft und die Konditionen für die Beteiligung der Autoren zu klären.
Ich hoffe, Sie fühlen sich jetzt nicht erschlagen und verbleibe mit besten Grüßen
Winfried Gödert“